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Sonntag, 15. September 2013

Klosterhüpfen

100 km weiter. Richtung Pitesti.

Richtig, mit Schwänzchen. Also Pitescht. Das Schluss-„i“  wird nicht gesagt.
Die rumänische Sprache ist ein eigenes Ding. Einerseits eine der urtümlichsten lateinischen Sprachen, andererseits voller Spezialitäten. Viele Wörter sind einzeln gut verständlich, da dem Italienischen oder Französischen sehr nahe, aber als Wortschwall, auch wenn dieser noch zweimal und lauter wiederholt wird, ist sie schwer zu knacken. Dass „trei“ 3 heisst, ist ja ok, aber warum muss 4 „patru“ heissen? Jedenfalls ist das Zuhören, wenn man „curios“ ist, „interesant“ und nicht „plictisitor“ (langweilig). Lampe = lampa – Leben=viata – Leiche=cadavru – Libelle=libelula – Licht=lumina - Liebe=dragoste – Lust=pofta. Eben: Für Leichen und Libellen haben sie anständige Wörter, aber wer hat schon pofta auf dragoste? Und „sarut“ ist nicht ein militärischer Befehl, sondern ein Kuss! Und wer mit Kadavern und Lieb-ellen seine Probleme hat, kann sich im "Cabinet de P." erleichtern.

Habe also heute das Manasterea Caluiu verlassen. Unterwegs habe ich einige typische Häuser fotografiert. Nein, keine Plattenbauten. Diese Fassaden ziehen zwar den Blick immer wieder an, so wie er im Bus von einer Behinderung oder Entstellung  eines Gegenübers angezogen wird. „Mami, warum hat dieser Mann ein kaputtes Ohr?“ – „Schau, da fährt gerade ein Tram vorbei!“ Und warum haben diese hässlichen Häuser Balkone? – Damit man besser hinaus kotzen kann. Soviel zu den Plattenbauten. Fotos davon mache ich keine.









Ich kam nach Pitesti. Über diese Stadt steht nichts im Reiseführer. Dafür im  internet zwei Dinge: Hier befinde sich ein grosses Renault/Dacia-Werk, und hier seien um 1950 herum Gefangene gezwungen worden, „einander zu foltern, zu töten oder zu Kommunisten zu erziehen.“  Dies sei als „Pitesti-Experiment“ bekannt geworden.

Zur Begrüssung hatten sich ein paar AKW-Kühltürme an den Stadtrand gestellt, und eine Erdöl-Raffinerie setzte Rauchzeichen. „Very nice, yes!“, werde ich wohl im englischen Teil schreiben. Möchte mir dieses Städtchen noch genauer anschauen. Vielleicht hat es ja auch seinen Charme, wie die englische Stadt Coventry (auch eine Auto-Stadt, auch geschichtlich belastet durch das von den Nazis gebildete Wort „coventrieren“ = dem Erdboden gleich niederbomben). Und oft gibt`s in solchen Städten kultige Fussballclubs (siehe Ruhrpott oder eben „Hey, come on, Coventry City!“).

Da es schon gegen Abend zu ging, wollte ich mir zuerst einen Campingplatz suchen. Das heisst, ein Kloster. „Entschuldigung, scuza, können Sie mir sagen, wo das nächste Kloster ist?“ – „Fahren Sie an den Kühltürmen vorbei, dann alles geradeaus bis zum Renault/Dacia-Werk und dort zweigen Sie rechts ab.“ (Kein Witz!) Anfangs des kleinen, schmalen Tales fragte ich zur Sicherheit nach. Ein Mann im Sondermüll-Trainer stieg gleich ein und lotste mich durch die enge Dreckstrasse. Beidseits der Strasse diese kleinen Häuser mit Zaun und Leuten davor. Und dann standen wir auf dem Vorplatz des Klosters. Des nicht mehr existierenden Klosters! Eine Kirche späteren Datums steht auf dessen Ruinen. Und der Vorplatz: etwa 20 x 20 Meter. Wie wenden? Ich habe doch die Deppen, die hilfsbereiten, noch extra gefragt, ob ich dann dort auch wenden könne. „Nu problema!“ Ist das ihre Art, potente Steuerzahler ins Dorf zu holen? Was machen Raucher in solchen Situationen? – Ich tat es. Und überlegte mir in tiefen Zügen, wie ich da wieder weg komme. Während mein Lotse einen begeisterten Wortschwall, wieder und wieder, über das vor 500 Jahren hier, ja, genau hier, und zwar von hier bis dort erbaute Kloster auf mich niederprasseln liess.  Und wer hat`s vermiest, alles, und ist jetzt schuld, dass ich hier wohl zwangseigebürgert werde? Die Türken! „Unser Gott ist stärker als euer Gott!“ Hätten ja wenigstens die geschleiften Wälle mit einem schönen Parkplatz überziehen können, für spätere Wall-Fahrer.

200 Meter oberhalb befindet sich der „cimitir“. Gerade musste ein Rössli seinen Wagen den steilen Hügel hinaufzerren. Kann meines auch. Mit Untersetzung. Hinauf und auf der schrägen Wiese davor wenden! Das Manöver ist erst zur Hälfte ausgeführt, denn hier oben könnte ich doch ein bisschen bleiben und die Aussicht mit den Insassen des cimitir teilen.

Inzwischen waren die Frau und die erwachsenen Kinder des Lotsen eingetroffen, und der Mann aus „Elvetia“ (jawolll, mit!) servierte einen Kaffee. Eckdaten-Austausch: Alter, Ehefrau („sotie“, ja, mit!!) und Beruf. Lieferwagen-Chauffeur scheint eine Arbeitsmöglichkeit zu sein. („S“ mit! ergibt „sofer“.)