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Montag, 9. September 2013

Walachei und Klosterleben

Die Rumänen (und Rumäninnen!) wollen scheinbar...

...eine Strassen-Taxe (nicht nur für die Autobahn, sondern allgemein). Nur sagen sie das einem nicht an der Grenze und sie verkaufen dort auch keine Vinietas. (Angela, bitte organisiere das besser!)

Heute habe ich, an meinem Platz in der Ebene der Walachei, ausserhalb des rolling sweet home nur drei Dinge gesehen: Büsche, Gras und Himmel. Keinen Menschen, kein Auto. Nada. Wie das ist? Psychologisch gesehen erholsam. Philosophisch betrachtet hoch spannend: Wie wäre es , wenn nur ich wäre?  Und 200 Jahre nix tot, wenn`s dumm läuft…? – Gerade habe ich Schritte gehört von draussen. Angestrengt habe ich durchs Fenster in die Dunkelheit geschaut. Und eine Kuh gesehen. Ist einfach vorbeigegangen. Nix Schivili machen.



Etwas vom Schönsten für mich ist, aus dem Fenster meines appartement roulant zu schauen und den neuen Blick, der sich durch das Zurücklegen einer Etappe ergeben hat, zu geniessen.

Jetzt sehe ich zwar schon wieder Gras und Büsche, aber sehr gepflegte verschiedene Arten, und am nächsten sonnt sich ein grosses Rosenbeet. Dies nicht im Diplomatenviertel von Bukarest, sondern in der campagna etwa 30 km östlich von Craiova. Der Instinkt hat mich hierhin geführt. Oder war`s ER, der Himmlische? Ich habe nämlich ein Kloster angepeilt, ein „manastire“.

Auf einer Nebenstrasse rumpelte ich langsam durch die schon etwas herbstliche Landschaft, durch langgezogene Dörfer (die Häuser stehen in einer Reihe der Strasse entlang), bis ich durchs Tor auf den Klosterparkplatz gelangte. Tiptop sauber und asphaltiert. Das habe ich sonst noch nie gesehen, dass neben der Strasse ein Platz oder ein abgehender Weg asphaltiert ist. Und sauber! Aber ER mag`s halt so. Am zweiten schmiedeisernen Tor stand ein junger Pope mit schwarzer Kutte, Pferdeschwanz und John-Lennon-Brille. Natürlich dürfe ich hier alles, was ich wolle, und ich hätte sicher Hunger und solle ihm folgen. In der Mensa wurde ich (von einer Frau!) bewirtet: Gemüsesuppe, Brot, Bohnenmus, Mais, ein Kohlgericht, Mineralwasser und Zwetschgen und Trauben. Ich allein am langen Tisch, an der Wand hinter mir Jesus von Nazareth, vor mir Maria mit verliebtem Blick…aufwärts. Die Köchin hat sich für ein Foto extra unter ihren Chef begeben und mir noch einen Sack voller frischer Äpfel aus dem (kleinen) Paradies überreicht. Das Wort „Danke“ will mir noch nicht so geschmeidig über die Lippen. „Multumesc“  würde es heissen, aber wegen eines Schwänzlis muss man „mulzumesc“ sagen.



Zurück beim unbefleckten Parkplatz erging es einer Klapper-Dacia-Familie weniger gut. Sie kamen mit einer frisch mit Weihwasser abgefüllten Pet-Flasche aus dem Rosengarten und wollten wegfahren. Aber der Dacia wollte nicht. – Anschieben – ohne Erfolg. Nochmals. Mehrmals. Vor jedem Versuch bekreuzigte sich der Vater. Ich bot Überbrückungskabel  und Benzin an. Die Batterie sei`s nicht, und Benzin habe er. Er zeigte mir eine im Motorraum montierte Pet-Flasche mit Benzin. Vielleicht ein Gütschli Weihwasser dazu schütten…?

Bleiben wir noch ein bisschen im Graubereich zwischen Himmlischem und Irdischem. Auf dem Weg hierhin kam auf der schmalen Dorfstrasse ein Trauerzug entgegen. Zuvorderst, im Schritttempo, zwei PW`s, deren Aufgabe es war zu hupen, wie wir es von Hochzeiten und Fussballweltmeisterschaften kennen. Dahinter zwei ältere Herren im schönen Anzug, der eine trug ein grosses Kreuz, der andere eine Fahne. Dann folgten zwei Girls, die einen Korb mit Backwaren trugen. Dann zwei jüngere Herren in schwarzen Anzügen, die einen kleinen Sarg trugen, gefolgt vom Pfarrer im Kirchengewand. Dahinter dann ein blumengeschmückter Mercedes mit der Beschriftung „Funebru“, worin ich den eigentlichen Sarg vermutete. Hinter diesem folgten die Trauernden. Mitten unter ihnen drei Musikanten mit Akkordeon und Blasinstrumenten. Und die machten Stimmung! Und lachten zu mir herüber. Da haben wir sie also wieder, die Garnituren, die ich so liebe! Vom alten aramäischen Brauch des Auto-Hupens über gekreuztes Holz und Brotkörbe tragen zur ausgelassenen Dudelmusik. 
Aber nicht genug. The show carries on:
Als nächstes erschien eine blonde middle-aged lady aus dem Rosengarten. Sie stellte sich vor als Valentina, Englisch-Lehrerin aus Bals (Balsch – mit Schwänzchen! – dort, wo ich abgebogen bin). Sie entschuldigte sich für ihren britischen Akzent, das Amerikanische sei nicht so ihr Ding. „Me, too, madam, alles auch“, nur dass ich nicht blond und leicht over-middle-aged bin. Tel.-Nummer her, nächste Woche rufe sie mich an, es finde nämlich ein Kongress der English teachers der Region statt. And the pope  had asked her to tell me that I can certainly use the toilets of the monastery.

“Okay, Chris”, I said to myself, “jetzt kannst du ja mal ganz allein auf dem holy Parkplatz ein paar Schritte tun. Viele wurden es nicht.
Da sass nämlich auf einer Bank ein over-wohlbeleibter Herr. Beine weit gespreizt, Hemd weit offen, grosse Kette über Brustbart, Glatze, neben sich Handtäschchen, Papiernastüechli, Handy und Zigaretten. Er sprach mich an. Und er konnte Deutsch. Er und seine Frau (die die Klosterkirche allein anschauen gehen musste) lebten in Köln. Er sei früher professional Boxer gewesen, rumänischer Champion und habe auch internationale Erfolge gehabt. In den 80-er Jahren. Zu seinen Kampfgenossen und heutigen Freunden zählen Axel Schultz und Henry Maske. Sein Name: Eduard Stefy (mit Schwänzchen, versteht sich).

Inzwischen kam seine Frau dazu. Ich lud beide zu einem Italian espresso ein. „Aber wohin denn?“ „Da, 20 Meter, in mein Hotel!“ „Wo ist hier Hotel?“ als er begriffen hatte, stand er auf und neigte den Kopf zu mir, so wie man es tut, wenn man auf diskrete Art etwas Persönliches sagen möchte. „Darf man rauchen im Caravan? Sonst geht es nicht für meine Frau.“  Für ihn wohl auch nicht. Kaum hatten sich die zwei im sweet home umgesehen und installiert, klopfte der nächste Gast. Ein älterer Pope mit Gehstock. Passt! Der schwitzende Boxer und der flink blinzelnde Pope auf dem Sofa, die Boxerlady und ich am Tisch. Nächste Bedingung des kettenrauchenden Boxers: Keinen Zucker in den Kaffee, nur Assugrin. „Me, too, mister, alles auch“, nur dass ich… Na ja. Ob ich Alkohol möge, wollte er wissen, und wie lange ich in Rumänien bleibe. „Am 13. November wird meine Frau 49, und dann gibt es ein grosses Fest in Brasov (jawohl, mit Schwänzchen). Du sollst auch kommen.“ Tel.-Nummer her! Zum Abschied gab`s Küsschen – grosses, schweres Boxerküsschen. (Kleiner Nachtrag – nicht für Fussballmuffels: Meine Suche nach Ionel Gane scheint einen entscheidenden Schritt weitergekommen zu sein: er sei nicht mehr Trainer bei Steaua, sondern jetzt bei Universitate Cluj-Napoca, sprich „Klusch-Napoka“ – wird bei der nächsten internet-Möglichkeit überprüft.)

Da waren also noch der Pope und ich. Und das Programm war noch nicht durch. Der Pope zeigte auf meine kurze Hose (die ich jeweils im sweet home anziehe, wenn es 30° warm ist), er zeigte also auf meine nackten Beine und auch auf seinen Bauch. Ich verstand: Lange Hose anziehen zum Essen.
Diesmal waren wir ein schönes Grüppli in der Mensa. Pope links von mir, Pope oben am Tisch, Pope gegenüber von mir und rechts eher so ein Glöckner von Notre-Dame. Gut, reichlich, voll vegetarisch. Plötzlich wurde eine weitere Pet-Flasche auf den Tisch gezaubert. „Pepsi“. Stand drauf.

Hier schalten wir doch ein kleines Leser-Wettbewerbli ein:
In der Pet-Flasche hatte es
A  -  Weihwasser
B  -  Benzin
C  -  ?
(Zuschriften an: chleh@gmx.ch . Die Gewinner dürfen am 13. November nach Brasov kommen. Über den Wettbewerb kann Korrespondenz geführt werden)

Jedenfalls liess sich der ältere und flinkste Pope ein Gläschen einschenken, mir natürlich auch, und ich durfte… Sivili machen!! (wohl auch mit Schwänzchen.)
Nach dem Mahle begab man sich zur Verdauung in den Klostergarten.
Doch nach (zu) kurzer Zeit war die nächste action angesagt: Quasimodo begann auf ein Holzbrett zu schlagen, das etwa die Form und Grösse eines Kajak-Ruders hat und lief so um die Kirche herum. Die Glocken würden erst anschliessend geläutet, wurde ich aufgeklärt. So war`s auch. Und ich sah es kommen: Der Atheist wurde zum Gottesdienst genötigt. In seinen shabby Hosen und seinem worn Jaguar-shirt. Ob ER mich gleich wieder rausstellt? Der Novize begann mit dem monotonen Gebetsgesang (Like!), die Popes tuschelten zusammen, als der Ober-Pope eintrat. Nennen wir ihn „Super-Mario“, er hat sich nämlich als Mario vorgestellt. In gutem Englisch hiess er mich willkommen und forderte mich auf, etwas vom (und jetzt weiss ich echt das Wort nicht, ich meine die käuflichen heiligen Accessoires, klingt irgendwie wie „Fäkalien“, heisst aber anders) etwas von diesem Tisch für mich auszuwählen. Ich entschied mich, eingedenk meiner Mutter, die in Einsiedeln im Schutz der Madonna aufgewachsen ist, für ein 10x20 grosses Marienbild. Andächtig richtet sie die Handflächen ihrer zarten Hände gegen oben. Vor ihr steht ein Tischchen und darauf ein edel verzierter Kelch. In diesem wiederum hockt, bzw. er muss arg in ihn hineingequetscht worden sein, mit holdem, lockigem Haar… (Da kommt mir nach der Mutter mein Vater in den Sinn, wie er manchmal in Zirkusmanier sagte: „Und jetzt zeigen wir Ihnen die Dame ohne Unterleib!“)

Also: Gleich noch ein Wettbewerbli:
Wie heisst der Knabe, dem Solches widerfahren, und der seine Mutter nachahmend auch die Händchen mit den dazu doch noch etwas zu zarten und ungelenken Fingerchen hochzuhalten versucht?
(Lösung wie immer an …  Als Preise winken: Wunderschöne Äpfel und Trauben aus dem Klostergarten – ich mag die nicht alle selber essen, es sind zu viele)
Als Zugaben wurden mir noch eine Broschüre übers Kloster, ein Bildchen des Heiligen Nikola (kenn` ich doch irgendwo her), ein aufklappbares Mini-Altärchen, ein recht chickes Armbändchen und ein Duftfläschchen mitgegeben. Mit letzterem könne ich mir ein wohlriechendes Kreuz auf die Stirn machen.
Und jetzt sitze ich da im Wagen, unter mir sauberer Asphalt, vor mir ein Schnäpsli von Nikola dem Ersten und versuche, die letzten paar Stunden auf die Reihe zu kriegen. – Schiwili!