Cosmin brachte mich am Morgen um halb
sieben nach Pitesti zum Bahnhof. Mit dem Klapper-Dacia. (Das Rolling sweet home
wartet besser auf der Weide direkt hinter dem Hotel Loredana.)
Der Bahnhof von Pitesti, immerhin
grösser als St.Gallen, verdient den Namen „Bahnhof“ insofern, als hier eben die
Züge anhalten und abfahren.
Am Billetschalter übernahm Cosmin.
Fahrpreis: 36 Lei (= Bern – Zürich für 10 Euro). Ich legte die Nötli hin, Cosmin
erklärte der Schalterangestellten, dass ich Elvetian sei, um gleichzeitig –
schwupps – eines der Zehnernötli wieder wegzunehmen, welches er mir draussen
stolz überreichte. „Siehst du, nur 26 Lei!“
In Bukarest angekommen, suchte ich
zuerst ein Restauräntli mit bequemer Aussenbestuhlung für den dringenden Kaffee.
Wie hiess es? „Amica Elvetian“! Der eindeutige Trend in der Altstadt- und
Touristenzone ist jedoch British. Fast alle Lokale sind auf Englisch, Irisch und
Schottisch getrimmt. So glaubhaft, dass die ganze Szenerie, zusammen mit den
historisch-abgefurzten Fassaden, wirklich wie das Zentrum von Birmingham wirkt.
Dann zog mich halt wieder mal das Faszinierende am Abstossenden an. Ich musste diesen ungeheuerlichen Ceausescu-Palast sehen. Dieser hat allerdings einiges an Ungeheuerlichkeit verloren, da ja jetzt von nicht weiter Entfernung der unverschämte McDonalds-M zu ihm hinüber leuchtet.
Dann zog mich halt wieder mal das Faszinierende am Abstossenden an. Ich musste diesen ungeheuerlichen Ceausescu-Palast sehen. Dieser hat allerdings einiges an Ungeheuerlichkeit verloren, da ja jetzt von nicht weiter Entfernung der unverschämte McDonalds-M zu ihm hinüber leuchtet.
Nach einem schottischen Bierchen mit
Internet quatschte ich einen Taxichauffeur an. Ich hatte das Näschen für den
richtigen gehabt. Er sprach fliessend, sehr fliessend, Italienisch. Ein Hotel?
Die seien halt teuer in Bucuresti. Er könne mich doch in ein Hotel etwas weg
vom Zentrum bringen. („Jaja, taxi driver tricks…“, denkt Herr Schweizer.) Ein bisschen
reden, über Fussball und Frauen, ist immer gut, so dass er auf eine andere Idee
kam. Nämlich seine Schwester, die zusammen mit ihren erwachsenen Kindern im
Zentrum wohne und halt finanzielle Probleme habe, anzufragen, ob sie mich
beherberge. („Jetzt ganz vorsichtig sein!“, flüsterte mir Herr Schweizer ein.)
Aber man kann sich das Ganze ja mal zeigen lassen.
Und es war ein Volltreffer! Wie in
der 10. Minute mit 2:0 vorne zu liegen. Die Madame, Felicia, ist Mitte 40, mit
Niveau und spricht einigermassen Englisch. Die Tochter ist gegen 20, in
Ausbildung und sehr scheu. Der Sohn – und jetzt kommt`s! – ist Fussballspieler
bei Steaua! Bzw. zur Zeit ohne Vertrag. Und vor allem ein sehr guter Typ. Mit
grossem Wissen und sehr kritischem Denken. Nicht nur über Fussball.
Der folgende Abschnitt kann von den
Fussballmuffels übersprungen werden. Sie werden aber etwas verpassen.
Also: Jean P. schaffte es als
zentraler Verteidiger und Midfielder in die erste Mannschaft von Steaua. Dann
wurde er an einen andern Club ausgeliehen. Die Gründe sind vielfältig, bzw hier
in Rumänien unglaublich vielfältig. Was der mir für Geschichten über die
korrupten, mafiösen Zustände erzählt hat! Besonders ist ja auch, dass er dies
überhaupt erzählt, was mit seinem Wesen und Charakter zu tun hat. Er ist alles
andere als ein dummer, sich den Regeln unterwerfender Spieler. Gestern Nacht
haben wir stundenlang über Salvador Dali, den Islam, die schweizerische
Ausprägung der Demokratie (wie genau werden die sieben Bundesratssitze
verteilt?), die Zeiten unter Ceausescu, die rumänischen Medien und die
grassierende Prostitution und deren Zusammenhang mit der Macht der neuen
Reichen und Superreichen. (Mehr zu Letzterem? – Die Prostituierten haben
TV-Auftritte und sind wichtige Steig- bzw. Einsteigbügel in die Welt des
sinnlosen Reichtums. Es ist für Männer wichtig, sich mit ihnen zu zeigen und
die entsprechenden Stories und Skandale am Fernsehen tagesserienmässig
ausgeschlachtet zu bekommen. Ein nettes Geschenkli der Aufmerksamkeit in Form
eines 100`000 Franken teuren BMW an eine solche Dame ist dabei nur ein Sprutz
Weihwasser. Klammer geschlossen) Unser lieber Jean P. taugt eben nur bedingt
fürs Show-, Korruptions- und Machtbusiness, was arge Konsequenzen nach sich
zog. Als er nämlich mit dem neuen Verein gegen Steaua spielte, nahm ihn der
Steaua-Boss in der Pause zur Seite und verlangte, dass er in der 2. Hälfte so
spielen müsse, dass Steaua noch gewinnen könne. Und was machte Jean? Er spielte
weiter stark und rettete sogar einen vom Torhüter durchgelassenen (!) Ball auf
der Linie. Und jetzt ist er ohne Verein. (Die Bosse von beiden Clubs sind
natürlich zusammen verbandelt.) Er hält sich jetzt fit und überprüft
Möglichkeiten eines Wechsels ins Ausland (Türkei? Schweiz?). Dazu braucht es
aber wieder die richtigen Kontakte… Ist dies mein Einstieg als Agent ins
Fussballbusiness?
Nach fünf Tagen habe ich das
liebliche Bukarest am Freitag verlassen und bin nach Hause aufs Land gegangen.
Oh, wie ruhig! Wieder Pferde, Hühner und Hunde ums Sweet Home herum, und Weide,
Bäume und der Friedhof.
Bucuresti… Ein harter Brocken. Auch
zum Beschreiben. Ein Brocken, der im Halse höckelt und sich räkelt und nicht
weiss, ob er hinunter oder hinauf will. Ich versuch`s mit Bildern, Eindrücken
und Episoden, frisch von der Hals-Leber weg und so locker wie`s halt geht:
Da ist zum Beispiel der Boulevard
Decebal. Nichts Spezielles, ein bisschen breit halt, mit Bäumen. Hier sind aber
in letzter Zeit edle Cafés entstanden, und davor stehen nicht nur Dacias,
sondern Porsches, Audis, Mercedes und BMW`s. Hier werden Kontakte geknüpft
(tönt schön..). Also rein in so ein Lokal! Ein perfekter italienischer Espresso
ist immer noch nur halb so teuer wie in Svizzera, und die Toiletten genoss ich
wie einen Schönheitssalon. Spieglein, Spieglein an der Wand, wo sind die Schönsten
vom ganzen Land? – Ich sass an einem Tischchen und beobachtete. Schräg
gegenüber, an der Glaswand (man muss ja hinein- und hinausschauen können), zwei
Schöne. Zwei schöne Wartende. An anderen Tischen meist Gruppen von vier bis
sechs jungen Aufgestellten. Es wurde Feines gegessen und getrunken.
Ist-das-Leben-doch-schön-Stimmung. Aufmerksame, sehr höfliche Kellner wieselten
herum. Zum Ganzen lief Hintergrundmusik – Unterhaltungsjazz.
Da erhielten die zwei wartenden
Schönen Gesellschaft. Ein locker-jovialer junger Mann, hell angezogen, durfte
begrüsst werden. Let`s say: unsympathischer Säuli-Kopf, gut genährtes
Millionärssöhnchen. Er entertainte die zwei. Nicht sehr spannend für mich als
Spanner. Aber doch! Draussen vor der Glasscheibe erschien ein Knabe, etwa
12-jährig, in schlechten Kleidern, einer aus der andern Welt. Durch die Scheibe
hindurch versuchte er, sich mit dem Bubi-Entertainer zu verständigen. Bubi arm
und Bubi reich entdeckten einen Spalt, dort wo die grossen Glasscheiben
zusammengefügt sind. So konnten sie reden miteinander, und ihre Köpfe waren
ganz nahe beisammen. Nur die dünne Scheibe trennte sie, die zwei Welten. Warum
lässt sich Bubi reich überhaupt darauf ein? Weil er sich lustig macht über den
naiven, kleinen Kerl, weil er sich produziert damit vor den Schönen, und immer
noch einen obendrauf setzt und den Kleinen wieder heranwinkt, der seinerseits
auf ein Papiergeldchen hofft, das gut durch den Spalt passen würde, und ihn an
der Nase herumgeführt, die jener von aussen an die Scheibe drückt. Und die zwei
Schönen? Sie lachen, sie finden das Spielchen des BMW-Bubis lustig. Bis er es
jäh abbricht, als sein Handy klingelt, und den Buben mit strenger Miene und
klaren Gesten wegschickt. Game over.
Es geht nur ums Geld. Bei allen. Die, die es im
Überfluss haben, spielen ihre „lustigen“ Spiele damit. Die, die gar keines
haben, laufen in den Socken auf der Strasse herum und betteln darum. Die
dazwischen wissen nicht, wie sie die Stromrechnung abstottern sollen, wenn die
nächste Rechnung schon da ist und die Tochter Geld für Schulmaterial braucht.
Die Tochter ihrerseits möchte aber Lippenstift, Nagellack und schöne Schühlein
kaufen. Immer wieder höre ich es, das Wort
„bani“ und das „nu bani“.
Mein Taxichauffeur-Freund tankt, wie
viele, jeweils nur einige Liter. (Im Dörfchen Vieros fragte mich der Bruder von
Cosmin, Angestellter in den Dacia-Betrieben und stolzer Besitzer eines Opel
Astra, ob ich ihm zwei Liter Benzin geben könne. Und als ich Cosmin an der
Tankstelle ein paar Liter bezahlte, zeigte er anschliessend grinsend auf den
Zeiger der Tankuhr, der jetzt tatsächlich einen Fünftel voll anzeigte.) Der
Taxichauffeur bräuchte aber noch 200 Lei, um etwas Dringendes reparieren zu
lassen. Nein, Zigaretten habe er grad keine, „nu bani“. „Komm, wir gehen etwas
trinken“, schlägt er vor und führt mich zu einem Laden. „Was möchtest du?“,
fragt er. Wir nehmen je eine Cola. An der Kasse legt er noch drei
Schoggi-Riegel dazu, als ich mein Portemonnaie zücke… So laufen Einladungen.
Ich entscheide jeweils ad hoc, ob ich mit in den Laden gehe oder draussen eine
Zigarette rauche. – Schuhläden habe ich mit meiner Landlady keine betreten.
Die Doppelmoral treibt ihre Blüten
unter diesen Bedingungen. Da beklagt sich der junge Mann über seine Freundin.
Sie sei krankhaft eifersüchtig. Sie sage immer, er hätte etwas mit anderen
Frauen. Es sei zuviel für ihn, er bleibe ihr für ein paar Tage fern.
Und was tut er in diesen Tagen? Er
vögelt zwei geile Girls. Am dritten Tag sagt er mir, er gehe jetzt zu seiner
Freundin, um sich zu versöhnen, aber er fügt verschmitzt lächelnd an, auf dem
Weg dorthin treffe er zuerst noch eine Dritte. Mein Erstaunen quittiert er mit
der lapidaren Feststellung, so seien wir „barbats“ nun halt. So sind
tatsächlich sehr viele Männer hier. Und ihre Frauen wissen`s und erdulden`s. –
Es ist normal.
Das „britische“ Viertel, die Altstadt, ist die Ausgehmeile, da ist bis in die frühen Morgenstunden Rambazamba. Es ist wie in einer mitteleuropäischen Stadt. Alle trendig angezogen, die Girls sowieso, „wie wenn man Geld hätte“. Bettelnde oder Blumen verkaufende Kinder sind auch darunter. Eine verwahrloste alte Frau weint laut und bettelt ein Paar an. Die junge Frau schreit sie an und wiederholt mehrmals ihren bösen Rat: „Gehe arbeiten, such dir einen Job!“ Daneben verteilt ein sexy Girl Handzettel, die für einen Erotiksalon werben. Ein Mann wühlt in einer Mülltonne. Er sucht nach Pet-Flaschen. Die Champagner-Flaschen, die auf den Tischen ein paar Meter weiter stehen, sind nicht aus Pet. Einer führt beim Gehen ein Selbstgespräch und bekreuzigt sich dauernd. Oder ist`s ein Dialog? Mit IHM? Was erhält er für Antworten?
In der Shopping-Mall gibt`s alles. „Wie
bei uns“. Alle Smart-, Ei-, Giga- und Gagaphones, Juwelierläden, Modeläden, den
gediegenen Tabakwarenladen, die Geschenkboutique, Parfümerien, eine
Weinhandlung… Nur etwas ist rarer „als bei uns“: Die Kunden. Und draussen kotzt
einer.
„Securitate“ hiess der Geheimdienst zu Ceaucescus Zeiten. Und so heisse er heute noch. Es gebe noch mehr von diesen Spitzeln. „Wozu denn?“ – Sie würden einfach alles über einen registrieren. Mit wem man Kontakt habe, wofür man wieviel Geld ausgebe usw. „Wie denn?“ Sie fahren einem mit dem Auto hinterher, sie hören das Telefon ab. „Was machen sie denn mit den Informationen?“ Sie geben sie weiter, wenn man sich für etwas bewirbt oder einen Mann kennenlernt. Sie behaupten dann, man, bzw. frau sei eine Prostituierte. (Die Hitparade der am meisten gehörten Wörter ist für mich: An erster Stelle „bani“, an zweiter Stelle „maine“ – morgen, und an dritter Stelle „prostituata“. Die Wörter „multumesc“ – danke und „buna ziua“ – guten Tag sind weniger oft zu hören. Und irgendwo dazwischen, sei es für die Äusserung einer Meinung oder bloss als Zeitangabe, kommen immer wieder die Wörter „Ceausescu“ und „revolutie“ (vor oder nach der „revolutie“) vor. Und beide, der bäuerische kommunistische Diktator und die 1989 so grosse Hoffnungen weckende Revolution, haben in ihrer rumänischen Schreibweise ein Schwänzchen unten dran. Ein hängendes, kein aufrechtes.
Auf dieser Terasse der damaligen Parteizentrale soll Nikolausi nochmals und zum letzten Mal versucht haben, sein Schwänzchen in die Höhe zu recken. "Zeig`s ihnen, Klausi!", soll Helena aus dem Salon dahinter gerufen haben.
. . . auf dem Nachhauseweg