In einem Reiseführer wäre von „ländlicher Abgeschiedenheit“ die Rede. Andere würden die Autofenster dicht machen und mit christlichem Mitleid verstohlen über die Zäune auf die Mütterchen und kleinen Kinder schauend durchfahren. Aber der Lotse im Kunsttrainer hat mit mir hier eine Punktlandung gemacht. Beim Phantom-Kloster „Vierosi“ (mit , unterm s – sprich also „Vierosch“). Im kleinen Dorf Mioveni, in einem kleinen Tal. Durchfahren eh nicht möglich, wenden nur, wenn man`s schafft. Aber bleiben lohnt sich!
Zugegeben,
ich war anfangs auch nicht begeistert. Kein Kloster, auch sonst nichts
Idyllisches, alles eng, das Dorf, das Tal. Aber da gibt es den folgenden Trick
– voll easy: Bleibe! Bleibe einfach. Schlaf einfach einmal hier. Warte den
nächsten Tag ab. Erwache hier. Mach dir am Morgen einen Kaffee. Lass die Sonne
aufgehen. Schau durchs Fenster. Schau dir genauer an, was da ist und was sich
tut. Und dann warte. Schaue und warte. Sollte sich nichts tun, dann schnalle
dir den Gürtel mit dem Colt um, stecke ein Messer in den Stiefel, ziehe den Hut
tief ins Gesicht, schlendere (mit O-Beinen) durchs Kaff, lehne dich an eine
Hauswand und beginne, ein paar Fetzen auf der Mundharmonika zu spielen, und sie
wird sich irgendwann zeigen, gegenüber hinter einem Vorhang, die schöne
Schwarzhaarige.
Da ich aber
ein feiger Pazifist bin und als Musiker nicht mal für die Fasnacht tauge, ziehe
ich es vor einfach zu warten.
Es waren ein
Mann und eine Frau, die gerade mit einer vollen Tasche vom Nüsse Sammeln kamen
und mich hinaus winkten um mir eine Handvoll davon zu geben. Voilà! Soziale
Integration 1. Stufe geschafft. Ohne mich beim Gemeindepräsidenten nach dem
örtlichen Vereinsleben zu erkundigen und ihm auch die letzte Strophe der
Nationalhymne fehlerfrei vorzusingen.
Als nächstes
kamen Zwetschgen. Auf einem Porzellanteller. Ein junger Mann brachte sie und
erklärte mir in perfektem Rumänisch, dass er in einem der Häuser unterhalb
wohne und von seinem Scheisshäuschen aus, das etwas oberhalb stehe – „Siehst
du`s, das dort?“, er deutete auf einen scheps in der Wiese stehenden
Bretterverschlag – den Caravana gesehen habe. Die Zwetschgen sollen aber nicht
jetzt gegessen werden, denn jetzt sei ich bei ihnen zum Essen eingeladen.Das sei ihr Haus, sagte er stolz, als wir davor standen. Unten mit Mauern aus Fertig-Bausteinklötzen, oben mit Brettern vollendet und ein Blechdach darauf. Er heisst Cosmin, seine Frau Loredana und das kleine, zierliche Mädchen Anca.
Die sind super, die drei. Das Mädchen von der Sorte, die man gleich mitnehmen möchte. Loredana ist 22, hübsch und natürlich und spricht ein bisschen Englisch. Sie war 16 bei der Heirat, er schon fast 20.
Und Cosmin ist ein Knüller. Er ist nicht „curios“, sondern interessiert und weiss Vieles. Er hat (was nicht viele haben) ein Gefühl für die Fremdsprachigkeit des andern und versucht mir mit Gestik und ein paar Brocken Italienisch, die Wörter in deutlichem Rumänisch beizubringen. (Sag nicht schon wieder „friend“ oder“ amico“, es heisst „prieten“!) Er hat eine Stelle als Schweisser in Pitesti. Nach dem Essen hat er mich gefragt, ob ich ihm zwei Liter Benzin gebe, damit er am Morgen mit Vaters Dacia zur Arbeit fahren könne. Er hat auch gute Geografie-Kenntnisse über sein Land (habe auch schon das Gegenteil erlebt!). Haben wir uns doch darüber gestritten, ob Brasov nun genau in der Mitte Rumäniens oder doch etwas östlicher liege (unentschieden, advantage Cosmin)!
Morgen gebe
es „pulpa“ zum Znacht, nachdem es heute nur Gemüsiges gegeben habe. Wo holt ihr
hier denn Tintenfisch her? Nix Tintenfisch, „gack, gack, gack“, und er klopfte
auf seine Schenkel! Das Wörterbuch bestätigt: „pulpa“ = Schenkel.
Am folgenden Morgen erwachte ich bei 10° im sweet home. Tagsüber war es aber bei Sonnenschein wie üblich über 25°.
Ich verbrachte die Zeit mit Schreiben, Rumänisch lernen und damit, den Friedhof zu erkunden. Das ist ja immer interessant in andern Ländern. Ist sicher schon offiziell als Beschäftigung anerkannt, vielleicht unter dem trendigen Namen „grave-hunting“. Käme auf der Liste zwischen „fire-schlucking“ und „heli-drinking“. Oder unter „necro-sniffing“. Dann stünde es zwischen „m“ und „o“. „Mermaid-stalking“ und „orgasm-painting“.
Was es in Rumänien im Überfluss gibt, sind Zäune. Jedes Haus und Häuschen ist eingezäunt. Wer nichts zu tun hat, sitzt dann nicht etwa im Gärtchen, sondern mit oder ohne Bänkli vor dem Zaun an der Strasse („fence-socialising“). Und genau hier liegt der Unterschied zwischen den Lebendigen und den Toten. Letztere sind zwar auch alle einzeln oder familienweise eingezäunt, betreiben aber kein „fence-socialising“ mehr. Vielleicht der eine oder andere noch ein stilles „what-was-it-all-about-thinking“. Welches zwischen „v“ und „y“ aufgelistet käme.
Reader`s contest 3
„v“ = . . . . . . . . ?
„y“ = . . . . . . . . ?
Erster Preis: Eine Nacht im Loredana Resort, all inclusive. Anstelle des WC-Besuches sind auch Ausflüge möglich.
Trostpreise: WC-Besuch im „rolling-sweet-home“
Anmerkung: Die beiden Preiskategorien sind nicht kombinierbar.
Gegen Abend wurde ich wie vereinbart von Cosmin zum Essen abgeholt. Er hatte auf dem Heimweg von der Arbeit noch zwei Sprite-Flaschen mit Zwetschgen-Schnäpsen gekauft. Es scheint auf dem ganzen Balkan wichtig zu sein, den eigenen und natürlich besten Schnaps zu haben. Der seriöse Cosim ist ein Alkoholiker Typus M: Mehr reden darüber und schwärmen davon als trinken. Ist dazu noch eine Sache des Geldes.
Auch Essen ist eine Sache des Geldes. Nicht nur was, sondern auch ob. Sie hatten der Anka, die ab heute neu in den Kindergarten geht, ein Paar Turnschühlein und ein Umhängetäschli gekauft (made in China). Folge: Grad noch Geld für Brot und Schnaps für mich da, sonst fertig – alter Kühlschrank leer. Wirklich leer! Wie komme ich mir da vor, wenn ich zwei Nötli im Wert von fünf Stutz zücke und sage: „Geh doch schnell ins „magazin“ schräg gegenüber und hol uns, was wir brauchen.“ Ich weiss es nicht.
Ich weiss es auch nicht, wenn Cosmin, das Töchterli und ich mit dem Chevi Loredana abholen, die irgendwohin Zwetschgen pflücken gegangen ist, und Cosim, am Steuer über die schmale Dreckpiste durchs Dorf fahrend, allen am Rand Stehenden begeistert zuruft: „Schau mal, ich fahre Chevrolet, kostet 50`000 Euro!“ („Ja, hat meine Frau mit Toiletten-Putzen in Italien verdient!“)
Den Wohl- oder eben Unwohlstand betreffend ist es oft so, dass die Leute sagen, unter Väterchen Ceausescu sei es viel besser gewesen. Alle hätten Arbeit und zu essen gehabt. Nach der Revolution sei alles von den Politikern ans Ausland verkauft worden. „Rumänien ist ans Ausland verkauft worden!“ Voilà: Da haben wir die Kurzdefinitionen von „Kommunismus“ und „Kapitalismus“ aus dem Mund des „Mannes von der auch in nächster Zeit nicht asphaltiert werdenden Strasse“. (18.Sept.)
20. Sept.
Gestern
Abend meldeten die Tagesnachrichten den Fund eines Massengrabes. Eindrücklich
wurde die Freilegung von etwa 50 „cadavri“ gezeigt. „Schau mal, ist in der
Ceausescu-Zeit passiert!“ (Aber sonst
war`s ja gut unter ihm… Ja, der Blick auf die Geschichte einerseits – der
knurrende Magen bei den nachfolgenden Werbespots andererseits…)
Der ältere Onkel zeigte dann, wie man sich zu jener Zeit Zigaretten gemacht hatte: Ein Stück Zeitungspapier, Tabak (oder etwas Ähnliches) darin einrollen, anfeuchten und beim Rauchen schön zusammenhalten. „Und es funktioniert!“ Und heute? Man kauft sich Zigaretten, wenn man Geld hat, und wenn nicht, lässt man`s halt einen Tag bleiben. Folgerung: Der Kapitalismus macht faul, der Kommunismus macht erfinderisch und fördert die Eigeninitiative. (In die Geschichtsbücher mit diesem Satz!)
Der ältere Onkel zeigte dann, wie man sich zu jener Zeit Zigaretten gemacht hatte: Ein Stück Zeitungspapier, Tabak (oder etwas Ähnliches) darin einrollen, anfeuchten und beim Rauchen schön zusammenhalten. „Und es funktioniert!“ Und heute? Man kauft sich Zigaretten, wenn man Geld hat, und wenn nicht, lässt man`s halt einen Tag bleiben. Folgerung: Der Kapitalismus macht faul, der Kommunismus macht erfinderisch und fördert die Eigeninitiative. (In die Geschichtsbücher mit diesem Satz!)
Am
Nachmittag sind wir „kapitalistisch“ einkaufen gefahren. „Komm, Christopher,
mach dich bereit, wir fahren jetzt mit dem Chevrolet zum Lidl!“ Oder müsste man
sagen „kommunistisch“ einkaufen? Denn der Lidl sieht aus, wie er überall für
alle aussieht: grosser Parkplatz, Baracken-Architektur, die Artikel in
Kartonschachteln, alles sauber und hell beleuchtet. Die Internationale macht`s
möglich. („Völker, hört die Signale, …!)
Der Lidl
steht im Dacia-Land. Um hinzufahren, kamen wir an mehreren riesigen Dacia-Produktionsanlagen
vorbei. Auf sehr guten, von den Franzosen gebauten Strassen (Renault-Dacia!).
Aber noch schöner: Im Agglo-Kaff gibt`s einen Dacia-Platz, das Dacia-Gebäude,
eine grosse Kirche, die aber nicht Dacia-Kirche heisst, jedoch werden im Lidl
Dacia-Würste angeboten!
Und es gibt ein Fussball-Stadion! – Wie heisst es?
Und es gibt ein Fussball-Stadion! – Wie heisst es?
Reader`s
contest 4 !
In der Nähe des Dacia-Länds gibt es das Ceaucescu-Länd. "Zweig schnell ab hier, fahr an dieser Fabrik vorbei!" Es ist übrigens eine italienische Schoggi-Fabrik. "Willst du den Ceauscescu-Palast sehen?" - Man kommt an ein unauffälliges Eingangstor, das am Fusse eines Hügels steht. Offen steht, jetzt. Dann führt ein liebes, gepflästertes Strässli durch ein Wäldli dem Landsitz zu. Das Hauptgebäude ist im Sowjet-Klassik-Diktatorengeschmack-Stil erbaut. Mit Säulen und Statuen bereichert. Wie in tausend Filmszenen konnten wir vom Park her kommend direkt vor den Eingang fahren. Hier hockte er also, ein paar Tage im Jahr. Ob sie ihm hier auch einen Bären das Wäldli hinauftreiben mussten, damit er von der Terasse aus seinem Hobby, dem Bären-Schiessen nachgehen konnte? Am besten gefiel mir der Swimming pool. Die hellblaue Einrahmung leuchtet noch einladend, der Inhalt ist zu einem Biotop mutiert. Ich stellte mir die schöne, hässliche, getreue Helena vor, wie sie darin ein paar ungelenke Schwimmzüge tat. Wie haben wohl ihre Schwimm-an-züge ausgesehen? Und hat`s den Nikolae angetörnt? Hat er seinen Jagd-Feldstecher zu ihr hinübergeschwenkt? Oder hätte er sich lieber eine schönere das Wäldchen hinaufjagen lassen? Oh, Nikolae, it`s hard to be a hard man...
Ziemlich anders als bei Nikolae und Helena sieht es bei Loredanas Eltern aus. Aber schön war`s! Und locker. Und lustig. Da wird noch Selbstgestricktes getragen. Und eingemachte Gurken werden serviert. Und Wein fac in case. Alles bio, sagte der Vater. Und hat recht. Küche im angebauten Bretterverschlag, grillen zwischen Haus und Vollmond. Voll bio. Der Schnaps auch, und der beste sowieso.