Seiten

Montag, 21. Oktober 2013

Bei Smiley und Caramel

In Transsilvanien . . .

Lange hielt es mich in Curtea de Arges. Drei Wochen.
Ich erinnere mich an den ersten Tag: Ankunft bei schrecklichem Wetter. „Dann bleibst du halt zwei, drei Tage , bis diese Regen- und Kältewelle vorüber ist.“ Eigentlich wollte ich ja die Südkarpaten durchqueren und nordwärts in die Mitte des Landes, nach Transsilvanien fahren.

Aber da stand ja nach drei Minuten dear Ovidiu neben mir, und in der ersten Nacht traf ich den sanftesten Nachtwächter of the world, Cristian. Zudem lief das Spendengeschäft an. Im nahen Pitesti wurde Anca operiert. Ich wollte und musste präsent sein. Für Anca, für Loredana und Cosmin und für die halb durchschaubaren Spitalkosten.

A propos: Es wurde letztlich teurer als voraus-“berechnet“ . All inclusive Fr. 1`550.- Aber die Liebsten aus Elvetia waren spendabel: Die Kasse schreibt schwarze Zahlen!  Habe also noch ein Sümmchen übrig, welches ich genüsslich oder sinnlos versaufen werde… (Mehr dazu in einem Extra-mail an „die Liebsten“.)




Gestern nun erfolgte der fällige Aufbruch. Eingangs Sibiu eine Vollbremsung. Für Hoppsanggalle:


Ich könnte wirklich an den Caravan schreiben: „Ich bremse (auch) für Kinder“. Das reisestrategische Ziel war Sibiu (Hermannstadt). Gelandet bin ich 15 km daneben. Beim „Casa copii“ in Daia, einem Kinderheim, das von Schweizer und deutschen Organisationen und Leuten aufgebaut und unterstützt wird.

Empfangen wurde ich zuerst von Smiley und Caramel. Smiley ist klein, kurzbeinig, etwas eitel und sehr eifersüchtig, wenn andere auch gestreichelt werden.  Caramel ist etwas jünger und grösser als Smiley und easy und gutmütig. Beide sind als ganz Kleine irgendwo aufgelesen worden und haben nun das Glück, hier leben zu können. Sie haben eine Aufgabe: Sie müssen das Gebäude, vor allem nachts, bewachen. Das machen sie prima. Gerade jetzt, als ich das klemmende Fenster meines Homes etwas laut zustiess, haben sie sofort gebellt.


Die letzten Tage in C. d. A. („Gurte de Ardschesch“ – mit..!) – ein letztes Treffen mit Ovidiu (oder doch noch nicht?), ein letzter (oder zweitletzter?) Kaffee mit Cristian, ein letztes Mal Goga-goga mit Anca…

Auf dem Second-hand-Kleidermarkt  hockte ich ein paar Stunden mit Rebeca und Cristian in der Herbstsonne. Rebeca verdient ihr Geld mit dem Verkauf solcher Kleider. Das Angebot ist riesig und die Qualität ist gut, nur die Kunden sind rar. Aber wie funktioniert denn dieses business eigentlich? – Ein Lastwagen fährt in die Schweiz, um bei einer Alttextilsammelstelle Ware zu kaufen. Eine Tonne für ?? Franken. Unsortiert, „blind“ verpackt. In Rumänien wird die Ware per 100 kg à ?? Lei an die Markthändler verkauft. Inhalt: surprisa! Ich half Rebeca beim genaueren Sichten der Kleider: Sie fand zehn Stutz in einer Hose und ich ein Lego-Klötzli. Bei der Konkurrenz drei Stände weiter kaufte ich meine Lederjacke zurück. Top quality. Oder war`s die von Klaus Fröhlich aus Winterthur? Cristian freute sich über den Fund eines Stofftieres mit batteriebetriebenem Blöken. „Look, Christoph, look!“ Schweizer, vergesst den Charles Vögele, vergesst die outlet-Schnäppchen-Giganten, kauft euch ein Bus-Billet nach Rumänien (25 Stunden fahren, sieben Mal pissen) und profitiert vom besten Preis-Leistungs-Angebot europaweit! („Ich bi doch nöd blöd!“) Aber die coolste Lederjacke und die fabrikneue Baumwoll-Trainerhosen sind weg!



Am Abend trafen wir uns zum Geschäftsessen in einem serbischen Restaurant. Infusione carnivora! Oder mixed grill. Ovidiu war auch dabei, obwohl er kein Geschäftsmann ist.


Ovidiu erzählte uns eine typische Geldgeschichte: Sein damals bester Freund bat ihn um ein Darlehen, um nach England reisen zu können, wo er eine Arbeit in Aussicht hatte. Es klappte. Mit der Arbeit. Nicht aber mit dem Zurückzahlen des Geldes. Solcherlei Geschichten sind normal. Die (verständliche sowie auch übertriebene) Bedeutung des Geldes einerseits und die Überlebens-no-future-schau-für-dich-anything-goes-Atmosphäre andererseits haben Menschen „erzogen“, die kein diesbezügliches Rechts- und Unrechtsgefühl mehr haben. Man macht das einfach.
Ähnlich verhält es sich mit der Prostitution. Frau macht das einfach. Die Eltern wissen es. Man spricht aber nicht darüber. Die Eltern sind irgendwie stolz auf ihre hübsche und erfolgreiche Tochter, die es ihnen ermöglicht, materiell besser dazustehen als die Nachbarn. Wenn die Tochter eine „Stelle“ in der Schweiz hat, dann gibt es ganz grosses bani. Und wenn sie sich ab und zu mit einer rührenden Geschichte von persönlicher Not zusätzliches Geld organisiert, dann nimmt man das gerne. Geld ist effektiv etwas Abstraktes. Man hat es, oder man hat es nicht, oder man holt es sich. Basta. Ein Hobby-Soziologe brachte dies so auf den Punkt: „These girls get this cheating strategy with the mother milk“. Kann man da an Moral denken und jemandem böse sein?

Das letzte Mal bei Anca im Spital. Sie ist fröhlich und chäferig wie immer. Sie ist sehr anschmiegsam zu mir. Sie schenkt mir spontane Küsschen. Sie gibt mir und nicht der Mama die Hand, wenn wir durch den Spitalgang gehen. Sie spürt, dass ich sie liebe. So schön! – Und sie weiss, dass ich Geld gegeben habe für ihre Operation. Sie weiss, dass ich Geld habe. Und sie fragt nur wenige Male, ob ich Goga-goga spiele. Dafür sagt sie mehrmals: „Da-mi bani!“ – Tja…

In der nächsten Nacht schlafe ich schlecht. Ich sehe Anca in 20 Jahren. Ohne Job, ohne Aussicht. Aber hübsch. – Der Gedanke wühlt auf. Er macht mich traurig. – Ancas Eltern sind gut.
Meine letzte Tat in Curtea de Arges: Die berühmteste aller Kirchen von Rumänien anschauen. Ich habe drei Wochen auf dem Parkplatz 100 Meter daneben gewohnt. Ein Föteli davon machen. - Voilà. - Mehr dazu: Reiseführer "Rumänien", Trescher Verlag, Seiten 278 - 280.


Und noch ein anderes Tempelchen, auch schön:



Und jetzt steht das Rolling-sweet-home auf dem Parkplatz des „casa copii“. Bei Smiley und Caramel. Und bei Iris und Claudiu, den Leitern. Und bei 23 Kindern zwischen 4 und 17 Jahren. Auf einer Anhöhe bei einem kleinen Dorf. Mit Blick über die herbstsonnenbeschienene Landschaft auf die frisch beschneiten Berge der Karpaten. Idyllisch.


Claudiu nennt diesen Ort den „Platz der Verdammten“. Claudiu ist gut. Ich bin wieder an einen Weisen geraten. Wir haben schon viel miteinander geredet. Und geraucht. Und heute Abend eine Flasche Wein getrunken, als die Kinderlein schon friedlich schliefen.

Es gäbe viel zu fragen, zu erfahren und zu erzählen über die Vergangenheit und die Schicksale der Kinder des „Casa de copii“.  Stellen wir es uns einfach vor. Punkt.
Es gäbe weiter die Fragen nach ihrer Zukunft und ihren Chancen. Kurze Antwort: Schwierig, aber viel besser durch ihren Aufenthalt hier im casa.
Was mich seit der ersten Minute stark beeindruckt, ist die Atmosphäre in diesem Heim und der Umgang miteinander. Die meisten sind sehr locker, kontaktfreudig und sozial. Sie schauen aufeinander, sie helfen sich, sie teilen spontan. Klar gibt es bei jedem Kind die tiefere und schmerzhafte Schicht, aber sie lernen hier ein natürliches, menschliches Verhalten, weil sie Aufmerksamkeit, Zuwendung und the basic things erhalten.
Die engagierte Präsenz, die ihnen Iris, die Leiterin, zukommen lässt, ist schlicht umwerfend. Punkt!
Die Ruhe und Gelassenheit, mit der sie ihr rumänischer Partner Claudiu unterstützt, ist es ebenso.

 Jetzt gibt`s noch Bildli-watching. – Das Casa, die Umgebung und das „deutsche“ Sibiu (Hermannstadt):