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Freitag, 4. Oktober 2013

Wächter der Nacht und Malen wie Rubens

Wenn es auf die Bettdecke tropft...

...dann schifft`s vielleicht draussen.
Und wenn es dies mehrere Tage ununterbrochen tut, dann hockt man halt drinnen. Im fast trockenen Standing Sweet Home oder im überheizten „Old House Pub“ (mit wireless!). Dort kann man mit jungen Weibern anbändeln. Die sitzen da herum und trinken Kräutertee, weil sie zwar einen Universitätsabschluss, aber keine Aussicht auf Arbeit haben.

Das Fernsehen berichtet ausführlich darüber: Der schlimmste Kälteeinbruch seit 80 Jahren. Orkanartige Stürme legten Bukarest flach und Mengen von Schnee fielen in höher gelegenen Gebieten. Da habe ich Glück in Curtea de Arges, am südlichen Fuss der Karpaten: Nur Dauerregen und Temperaturen im knappen Plus-Bereich. Die berühmteste Klosterkirche – gleich nebenan – erträgt`s mit Fassung. Ich versuch`s auch. Rumänische Wetterregel: „Startu Octoberul mit Kältea, mults Sonnu nachher habea.“

Die zwei Trophäen, die ich hier ergatterte, sind zwei Männer. Ovidiu und Cristian. Der orthodoxe Himmlische servierte sie mir subito, bzw. überraschend. Ich kam an in dieser nicht schönen Stadt und parkte das Rolling Sweet Home auf dem Platz neben der eben wunderbaren Kirche. Schon stand einer daneben und half mir mit Handzeichen beim Rückwärtsfahren. Ovidiu!


Der zweite, Cristian, am zweiten Tag: Ich begab mich nach Mitternacht in den Regen und die Kälte hinaus, um das internet des Old House Pub zu nutzen. Kein Mensch mehr unterwegs, das Pub dunkel und geschlossen. Nu problema, ich will mich im Dunkel der Eingangstreppe hinsetzen. Hockt da nicht ein anderer, zwei Meter daneben? „Hello, I`m Christoph, from Switzerland. I like Romania very much. Frumos! Nice evening, isn`t it? Shall we play cards? Or you want to fight? But I must check my mails first.” “Lass dich nieder, Kamerad, hier neben mir, und sei mein Gast. Ich bin die ganze Nacht hier. Ich bin jede Nacht hier. Magst du einen Schluck Kaffee aus meinem Becher? My name is Cristian.“ Ich blieb zwei Stunden und war um drei Uhr ziemlich durchfroren zurück im klammen Caravanul.
Cristian ist 33 und hat zwei sehr verschiedene Ausbildungen. Einerseits als ComputerTechniker, andererseits als BäumeRebenPflanzenSchneider. Er ist ein ruhiger und besonnener Typ. Sein Herz schlägt vor allem für seinen zweiten Beruf. Sein sehr beschränktes Englisch und mein sehr beschränktes Rumänisch mussten dafür reichen, mir Vieles über das richtige Schneiden der Obstbäume erklären zu lassen. Für keinen seiner Berufe hat er jedoch eine Stelle. Das Bäume-Schneiden ist Leidenschaft und Freundschaftsdienst. Sein Geld (160 Euro monatlich) verdient er mit seinem Nachtwächterjob. Er sitzt Nacht für Nacht von 12 bis 8 Uhr vor dem Eingang des Old House Pubs. Er versuche, innerlich mit sich zufrieden zu sein. Was wolle er über seine und die Situation in diesem Land nachdenken? Da sitzt er also, bei der momentan herrschenden Kälte in dicke Kleider eingepackt, auf seinem Stuhl und ist zufrieden, wenn er Kaffee (einen Pappbecher für die ganze Nacht!) und allenfalls ein paar Zigaretten dabei hat.


Ovidiu ist 45 und….zur Zeit arbeitslos. (Es kommt mir jene gestylte Tussi von Bukarest in den Sinn, die der bettelnden Frau zornig zugerufen hat: „Work! Take a job!“) Ovidiu spricht Englisch. Schlechte Aussprache, aber sehr grosser Wortschatz. Gelernt vom TV. Es gibt ausser den zahlreichen Volks-Opium-Sendern auch einen Geographic-Sender. Seine Tochter lebt in Belgien. Sie arbeitet dort als „prostituata“. Nichts Besonderes, zum Teil auch für die Eltern nicht. Ist halt eine reale Möglichkeit und hilft allen. Nein! Sie nicht. Sie malt. Sie ist in Belgien an der Rubens-Schule. Auch seine Frau lebt dort und hat eine Arbeit.
Ovidiu ist an allem interessiert von Geschichte über Kultur bis Politik. Mit einem Cola-Fläschli-Schnaps kam er mich am Abend besuchen und wir redeten und phil-und-viel-osophierten bis in die späte Nacht hinein. Der Knüller für mich: Er ist „ateu“, er glaubt nicht an IHN, an Gott, an den „Dumnezeu“. Da ist er eine grosse Ausnahme in diesem Land, denn mindestens vordergründig sind die Leute „sehr“ religiös. Ein Beispiel von Ovidiu: Für den Bau von Kirchen wird zehnmal soviel ausgegeben wie für den Bau von Spitälern. Bringt letztlich auch mehr, denke ich: Die Leute zu vertrösten war schon immer „besser“ als aus ihnen gesunde Menschen zu machen. Eben: Opium statt Medizin!
Ovidiu ist ein guter Lehrer für mich. Auf alle Fragen erhalte ich fundierte Auskünfte. Über die eigentliche Bewandtnis mit Dracula, über die Tschau-sescu-Zeit, über das heutige Hundeproblem, sowie über die Wetterentwicklung für die nächsten Tage.
Eine Einladung zum Essen folgte natürlich auch. Together with a good friend.


Eine seiner Lektionen hielt er einer Zigeunerin, die mit einem Kind auf dem Arm um "Bani" bettelte. Er erklärte ihr, dass sie ihr "Gott wird es euch vergelten" vergessen könne und dass sie statt auf die Karte "Schicksal und arm und keine Arbeit und Dumnezeu" besser auf die Karte "Schule" setzen solle. (Es ist nämlich so, dass das Schuloblgatorium auch für die Kinder von Zigeunern gilt. Diese schicken aber ihre Kinder meist nicht hin. Sie erhalten dann als Konsequenz das ihnen zustehende Kindergeld nicht.) Als weitere zwei Zigeunermädchen unserer Herrenrunde (ich habe Ovidiu und Cristian miteinander bekannt gemacht) eine Aufwartung machten, hat er auch ihnen ausführlich erklärt, warum es für sie besser sei, sie würden zur Schule gehen. Und er hat - ich konnte seinen Ausführungen halbwegs folgen - auch versucht, ihnen den Dummen Zeu auszutreiben. Was haben doch die Rumänen mit "Dumnezeu" für ein schönes und treffendes Wort für den imaginären Seelentröster!



Die Hundeli von Ceausescu
Sie sind überall, in den Städten und auf dem Land, einzeln oder in Rudeln. Schnuckelige Tierchen! Sie sind ein grosses, tägliches Politikum und erhalten entsprechend viel Sendezeit (soviel wie die sexy Schönen) auf den TV-Kanälen. (TV bedeutet „Terrorismus zur Verdummung“.)
Seit Tagen wird der Fall eines in einem Bukarester Park zu Tode gebissenen Kindes ausgeschlachtet. Mit konfusen Diskussionsrunden und mit Vor-Ort-Berichten. Eine (schöne) Reporterin interviewt eine weitere Person, die zur Zeit des Vorfalls in der Nähe war. Diese zeigt auf die Stelle vor einem Busch, wo der Hund anschliessend verschwunden sei. Die Kamera zoomt hin. Die Technik zeichnet noch einen roten Kreis ins Bild. Ja, hier, genau hier war`s! Die Regie spielt`s mehrmals ein… Am nächsten Tag das gleiche mit einem andern Busch… Die Mutter wird ins Studio gezerrt. „Ja, er war so ein lieber Bub.“
Ceausescus Bulldozer hatten im Rahmen von Umsiedlungsprogrammen viele Häuser niedergewalzt und die Menschen in neue Batteriehaltungsbauten gesteckt, wohin sie ihre Hunde nicht mitnehmen konnten. In der Folge streunten diese überall herum. Ihre Anzahl hielt sich aber noch in Grenzen, denn sie wurden von den Menschen oft getötet, weil man das Fell für Schuhe brauchen konnte. Seit aber Lidl, McDonalds, Carrefour und alle Retter und Glücksbringer gekommen sind, geht es den Leuten nur noch so beschissen, dass sie die Hunde nicht mehr brauchen. Sie tragen jetzt Billigschuhe aus China. Und die Hunde vermehren sich rasanter als die „TV“-Sender. „Was müsste man tun?“, denkt jetzt der leicht geneigte Leser. „Man müsste sie töten“, denkt der Fundi. „Man müsste sie kastrieren“, denkt der Realo. „Man muss für sie sorgen“, denkt (und sagt) Brigitte Bardot. Alles falsch! „Man muss Geld verdienen mit ihnen“, sagen die Herren der Korruption. Der „Staat“ bezahlt Leute, die sich offiziell des Hundeproblems annehmen, dieses aber nicht lösen. So gibt der Staat für die Hunde viel mehr aus als für die Kinder. Eine Kinderzulage beträgt 40 Lei monatlich. Das sind 10 Euro. Also Leute: „Make dogs, not babies!“
Leute, die sich offiziell des Hundeproblems annehmen, dieses aber nicht lösen. Dies kann heissen, dass man sie mit staatlichem Geld füttert, weil man an ihrem Bestand interessiert ist! Oder: Ein Veterinär kriegt pro Kastrationsauftrag eine bestimmte Summe, einen Anteil für die Narkose und einen für den Eingriff. Führt es den Eingriff ohne Narkose aus, dann…. Eben! So gibt der Staat für die Hunde viel mehr aus als für die Kinder. Eine Kinderzulage beträgt 40 Lei monatlich. Das sind 10 Euro. Also Leute: „Make dogs, not babies!“

Hundeli-Episödchen (lustig!)
Eben: die haben Hunger, die Tierli. Die fallen oft mal Menschen an. Die gehen zum Äussersten.
Ich bin zu Fuss in der Stadt unterwegs und begegne einem Grüppchen von ihnen. Mein Herz schlägt auch für Tiere (ich bremse nicht nur für Babies). Ich will mein Mahl mit ihnen teilen. Ich habe nämlich seit langem für den schlimmsten aller Fälle (Gletscherspalte oder Entführung) ein Päckli , jawohl, von irgendwoher, ein Päckli Schweizer-Armee-Biscuits dabei. The real ones! In der Original-Packung mit CH-Kreuzchen drauf. Gedacht für den Schweizer Soldaten, sollte er mal etwas länger in einer dummen Situation sein. Zum Überleben. Als das letzte Lebenseinhauchende, bzw. -einbröselnde vor dem Alles oder Nichts. Vor der Rettung oder dem Tod. Der letzte Zwick an der Geisel. Der letzte Bissen vor dem Biss ins ewige Gras.
Ich werfe diesen Hunden ein paar dieser gepressten Lebensnektarscheibchen vor ihre schmutzigen Schnauzen. Und was tun sie? - Sie riechen kurz daran und wenden sich ab. Ohne Dank und Gruss.


4.10.
Der Schmutzige-Wäsche-Sack begann immer mehr zu einem Thema zu werden. Aber bei diesem mehrtägigen Kälteeinbruch (letzte Nacht war`s minus 5), verzichtete ich weise auf diesbezügliche Taten. Nicht aber Ovidiu: Wie ich das denn jeweils mache mit dem Kleiderwaschen. (Er möchte mir ja nicht zu nahe treten…), aber er habe eine Waschmaschine… Und ob ich es gerne auch mit Weichspülmittel hätte… Schon am Morgen hatte der OFS an die Tür geklopft – der Ovidiu-Food-Service. Käsegebäck nach Mutters Art und Milch von der Mutter. Bzw. von ihrer Kuh, die sie am Strassenrand Gassi und Grassi führt.


Vorher aber, um sieben herum, erhielt ich schon einen Anruf von Cristian. Er nahm das Ende seiner Nachtwächterschicht zum Anlass, mir einen schönen Tag zu wünschen und mich zu einem Kaffee einzuladen. Von Herzen natürlich. Ja, I feel, der Kaffee kommt wirklich von Herzen, er kommt direkt aus deinem Herz. Cristian ist oft sehr ernst – sorgfältig-ernst – und bestand darauf, auch sorgfältig die englischen Wörter zusammensetzend: „I understand you, but coffee come from machine.“
In der Nacht, von drei bis sechs Uhr, war ich bei ihm zu Besuch gewesen. An seinem Arbeitsplatz beim Eingang des Old Pub House. Ob er mir mehr übers Bäume-Schneiden erklären soll. Ob er einen Schluck aus meiner mitgebrachten Kaffee-Thermosflasche wolle, fragte ich zurück. „Oh, I have coffee“, und er deutete auf seinen halbvollen 5°minus-Pappbecher. Er erzählte dann von seiner Frau Rebeca und von der Verwandtschaft. Kurz: Seine Eltern akzeptieren seine Frau nicht, und als Folge akzeptiert Rebecas Grossmutter, bei der sie aufgewachsen ist, ihn nicht. Dies hat auch materielle Auswirkungen, da man sich in den Familien normalerweise gegenseitig hilft.

Zur Zeit sind die zwei im Zügelstress. Sie ziehen aus der (ohne Adjektiv...) Mietwohnung aus und können - oh menschlicher und wirtschaftlicher Fortschritt! - nun bei Rebecas Grossmutter einziehen. Der Chevi half mit.


Nun stehe ein Hochzeitsfest eines Cousin an, der seinerseits an ihrer Hochzeit dabei gewesen sei. Wenn man Gast an einem Hochzeitsfest ist, dann gibt man den Betrag für sein Essen plus einen zusätzlichen Geschenksbetrag ab. Besagter Cousin hat dies an ihrem Wedding getan, also müssen sie an seine Hochzeit gehen und dasselbe tun. Können es aber nicht. Müssen aber. Niemand ist da, der aushelfen kann (will!). „Aber ihr müsst…!“

Ich lud Cristian zusammen mit seiner Frau Rebeca zum Caravan-Kafi ein. Ein interessantes Paar. Er mit seiner Ruhe, Sorgfalt und Besonnenheit. Sie ist sehr schlank, blond, blauäugig, spricht sehr gut Englisch und macht davon auch regen Gebrauch. Beide haben kritische und offene Ansichten. Sie könnten alte Freunde von mir sein. Das „Wedding ticket“ habe ich für sie geregelt. Ihr gefasstes Akzeptieren und vorsichtiges Sich-freuen-und-erleichtern waren eindrücklich. Ebenso ihr Suchen nach einer Gegenleistung. „Ihr seid sie, die Gegenleistung!“




Am nächsten Tag – am Wedding day – rief mich Cristian an. Er stehe jetzt vor dem Restaurant, die andern tanzten drin, aber er müsse mir unbedingt etwas sagen. Und er, der stille, hat es sicher zehn mal gesagt und erklärt, immer wieder mit eingeschobenen „I don`t know“, dass er es kaum fassen könne, dass ein „stranger“ ohne ihn zu kennen . . . Und er sei nicht in erster Linie für das Geld dankbar, sondern für das Entgegenkommen und die Freundschaft des strangers, ja, eines strangers! „Yes, you are a stranger for me.“ Und dazu noch ein Ausländer. Die würden ja alle Rumänen als Zigani und schlechte Menschen anschauen. Und für ihn sei es mit dieser Hochzeitsgeschichte nicht etwa zu Ende, sondern jetzt müssten wir Freunde werden, ich sei ja für ihn nur ein stranger, „I don`t know, you understand?“


Oh, was kriegt der Atheist, der ja  mit seinem Rolling sweet home wieder unmittelbar neben einer Klosterkirche, diesmal dazu noch der berühmtesten Rumäniens, haust, für Geschenke des Himmels! Muss man denn so weit weggehen und in andere Welten eintauchen, um solche Begegnungen zu haben? „I don`t know“, meine ich.


Nach meiner ersten kari-tat-iven Aktion (über die ich anschliessend kurz berichten werde und die ich nicht über den Reiseblog laufen liess) wage ich hiermit das coming-out.

Wer also einen Betrag für garantiert gezielte und sinnvolle finanzielle Unterstützung leisten möchte, tut dies so:

Betrag über mail oder per SMS durchgeben, und ich werde diesen dann bei euch einziehen, wenn ich zurück bin.
Natürlich werdet ihr über Blog und mails laufend informiert, wofür ich wieviel „investiert“ habe.
Multumesc mult!

Die schielende Anca


Vom Dorf Vieros und vom „Hotel Loredana“ habe ich schon geschrieben. Und auch von Anca, dem 4-jährigen Töchterli von Loredana und Cosmin. Die Untersuchungen ihres linken Auges sind in den vergangenen Tagen gemacht worden und der Befund liegt vor.


Jetzt geht es darum, den Operationstermin festzulegen und die involvierten Ärzte und Krankenschwestern zu schmieren. Da weiss man, wieviel das für wen sein muss, so wie wir auch wissen, wie hoch unsere Krankenkassenprämie ist. Total etwa 200 Franken. Für uns eine halbe Krankenkassenmonatsprämie und für viele Leute hier unerschwinglich. Die Operation wird dann offiziell und richtig abgerechnet und beträgt etwa 400 Franken. Dazu kommt noch, dass Loredana mindestens eine Woche im Spital bei ihrem Kind sein und übernachten möchte, was noch etwa 200 Franken kostet. Rechne! = Fr.800.-
Stand 6.10.: Ich konnte ihnen gestern Fr. 600.- (bzw. 500 Euro) übergeben. Reicht noch nicht. „Kommt endlich aus den Ferien zurück und lasst den Rubel rollen!“ Und die 200 Euro für die Teilnahme am Hochzeitsfest sind zwar bei C. und R. investiert, aber noch nicht finanziert…
Allen zügigen und grosszügigen Spenderinnen und Spendern ein „Multumesc mult!“
So wie Cosmin durchs geschlossene Fenster des Chevis, im Schritttempo um und durch die Löcher in der Strasse kurvend, den am Rand Stehenden zugerufen hat „Schaut, ich fahre einen Chevrolet!“, so hat er, mit dem Umschlag fuchtelnd, 200 Meter zum Nachbarn hinübergerufen: „Schau, wir haben soeben 500 Euro erhalten! Für die Augenoperation von Anca. Weisst du, von seinen Freunden in der Schweiz. Jeder hat Geld gegeben!“ Anca wollte mir den befohlenen Kuss nicht geben. Gut so. Dafür musste ich Goga-goga spielen. Ein weiterer Ausruf von Cosmin, einige Zeit später: „Stell dir vor, Anca trifft dich wieder, wenn sie eine junge Frau ist, und sie weiss, dass du ihr mit deinen Freunden zur Augenoperation verholfen hast!“


Für die "posa" in der Tür ihres Hauses wurden die schönsten Kleider angezogen. Dann kam die Idee, mit der ich nicht rechnen konnte: Da ich ja zur Zeit in Curtea de Arges sei (bei dieser berühmten Klosterkirche – wie wenn ich in Einsiedeln am Rand des Klosterplatzes campieren würde), 40 Kilometer von Vieros entfernt, müsse man doch jetzt dorthin gehen und dem Dumnezeu und seinen Mitarbeitern Danke sagen. Da nun seine engsten Mitarbeiter fleischliche und sterbliche Popas sind, macht man das am besten in einer Sprache, die sie verstehen. Rumänisch mögen sie weniger – sie sind ja eher intraventiert und keine grossen Schwätzer. Aber die Geste in Form einiger Banknötli verstehen sie schon. Aber woher diese nehmen? Ancas Euro-Scheine waren keine Option. Aber Ancas Grossvater telefonieren (in dessen Hüttli ich ja auch schon zu Besuch war). Einfach richtig verstehen: Es ging um das Auftreiben von knapp vier Franken. Okay, organisiert, bine, haide, ab in den Chevi! Auf der vierspurigen, neuen Strasse vor Pitesti kurz rechts anhalten, Cosmin geht schnell über die richtungstrennende Mauer auf die andere Seite, wo der bunik auf ihn wartet und kommt mit der Beute zurück. Im Rolling sweet home angekommen, mussten zwei Karten geschrieben werden. Titel: „Liturghie“. Text in etwa: Anca, Augen, Gott, Christoph, Elvetia. Zu beiden je ein 5-Lei-Nötli dazulegen und – „Haide!“ – ab in die Kirche. Dort ein Kerzli fassen, die richtigen Heiligenbilder und anderes Drapiertes küssen. Da es Samstag war, hatte es doch einige Besucher und Küsser dort, aber es ist schliesslich kein Problem, jemandem höflich den Vortritt zu lassen. Die beste Küsserin, förmlich Schmatzerin, war Anca. Gute Trefferquote, trotz schielender Augen.



Nächster Programmpunkt war der Besuch eines Restaurants. Ich sollte, scheinbar hatte der bunik mehr Geld mitgegeben, zum Essen eingeladen werden. Ja, es wurde richtig gefeiert. Mit „ciorba“ (Suppe), „paine“ und einer Flasche Wein. Und Goga-goga! Das Geld reichte am Schluss nicht ganz . . .
Es folgte, zurück in Pitesti, für mich mindestens, der Höhepunkt der Feierlichkeiten. Wir gingen zum Autoverkaufsplatz. Weil es erst 10 Uhr sei, habe es halt noch nicht viele Leute, aber freitags bis sonntags herrsche hier nach Mitternacht, wenn die Lokale in der Stadt schliessen, grosser Betrieb. „Hier sind mehr die französischen Autos und die Skodas und Fiat, aber dort drüben ist Germania, siehst du, alles Volkswagen, BMW, Opel, …“ Die Auswahl ist gross. Die Hälfte der „masinas“ (mit Schwänzchen) haben ein temporäres rumänisches Nummernschild, die andere Hälfte die originalen deutschen und weiteren westeuropäischen Nummern dran. Tja. Bezahlt werden die Maschinas mit Euro und sind auch so angeschrieben. Aus Spass sagte ich zu Cosmin, wir könnten ja mit weiterem Geld meiner „Elvetian prietenas“ ein Auto kaufen. Er reagierte ernsthaft: Das würde er nicht akzeptieren, das sei etwas Anderes als Geld für ein Kind! Dafür wollte er wissen, was denn die helvetischen Spender für Namen hätten. (Später zu Hause wiederholte er gewisse Namen und sagte zum Beispiel: „Erzähl mir von Stefan. Wie ist er, was macht er?“)
Auf dem Areal steht auch eine lange Reihe von Imbissbuden, vor jeder ein rauchender Grill. Sie wirken mit ihren Beleuchtungen wie Jahrmarktbuden, und der Lonely Planet müsste sie als Tipp für günstige, einheimische Verpflegungsmöglichkeit erwähnen. Anca schlief auf Loredanas Schoss, als wir an einem Tischchen neben dem Gasstrahler schweinerliche Eingeweide mit Senf und Knoblauchsauce assen. Diesem Teil ihres Festes war sie nicht mehr gewachsen. 

    
Die Kälbchen von Ceausescu
Wollte ein Bauer mal Fondue Bourgignonne statt Bohnensuppe auf dem Tisch haben, konnte er folgendermassen vorgehen: Er musste dem frisch geborenen Kalb die Beine brechen. Dann musste er den Veterinär holen, der ihm betätigte, dass das Kalb nicht lebensfähig war. War das Kalb gemetzget, erhielt der Veterinär einen Teil, der Gemeindevorsteher einen Teil, und dieser und jener einen Teil und eben der Bauer einen Teil.
Ob es der Che Schescu mit seinen erlegten Bären auch so machen musste? Und die schöne Helena, hat sie wohl lieber Kalbsplätzli oder Bärenseckel getafelt?

Diese Kälbli-Kalberei erzählte mir Ovidiu, als wir zusammen with his friend aufs Land gefahren waren, wo uns his friend seinen neu erworbenen Landsitz zeigen wollte. Man müsse zwar schon noch einiges reparieren und optimieren (stimmt!), aber es sei doch wirklich schön hier (stimmt auch). In der Umgebung erhielt ich von Ovidiu eine Lektion über die verschiedenen Perioden der Architektur und Bauweise während der Tschau-Ceau-Zeit. Ländliche "Sweet-and-sour-Idylle" :








   . . . oder mit Pferdescheisse . . .

. . . mit selbstgefertigten Backsteinen . . .

. . . mit dem Landlord . . .


 ... Give me a smile ! ! !