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Donnerstag, 14. November 2013

Heilige Tiere

Nicht Merkur, Mars und Pluto

hiessen die Dörfer, an denen ich heute vorbeikam, sondern Cotu Vali, Negru Voda, Cerchezu, Sipotele und Adamclisi. Das war ein anderes Rumänien als das pseudogalaktische. An keinem Dorfeingang stand „Ort von nationalem Interesse“. Wie wär`s mit dem Prädikat „Ort der nationalen Vergessenheit“?

11.11.
Die Route führte mich vom Schwarzen Meer der bulgarischen Grenze entlang landeinwärts, auf kaum befahrenen Nebenstrassen durch die Weite Süd-Rumäniens. Die ebene Landschaft war oft unterbrochen von Furchen, wie Wunden, die Felsgestein wie nacktes Fleisch offenlegten.




 
In diese Wunden und Schrammen hatten sich die Dörfer eingenistet, wohl um die Hitze des Sommers und die Kälte des Winters besser ertragen zu können. Jedes Dorf war auch ein Freilandzoo, ohne Bio-Gütesiegel, denn auf und neben der Strasse trotteten und gurkten Hühner, Gänse, Truthähne, Schafe, Ziegen, Kühe, Schweine, Pferde, Esel und Hunde herum. Die kleinen Häuser sind oft farbig angestrichen, und um sie herum werkeln die Alten oder zerren Büschel oder Holz herum, während die Jüngeren am Strassenrand darauf warten, dass weiterhin nichts geschieht. Dies alles wirkt nicht traurig und hässlich, aber auch nicht schön und hoffnungsvoll – es ist einfach. Die Gänseschar wird auch morgen die Strasse 50 mal überqueren, die Pferde werden auch morgen mit Stricken an den Beinen vorwärts täppeln, die Kuh lässt sich auch morgen nach Hause treiben, die Hunde sind es gewohnt auf sich zu schauen, und das eine oder andere Huhn wird im Suppentopf landen. Und kein Schwein wird sich nach den jungen Girls umdrehen, die modisch gekleidet mit Kopfhörern in den Ohren dem Schulbus entsteigen, weil sie halt auch hierhin gehören.




Der Dumnezeu hat mich zum Übernachten über ein Schottersträsschen zu einer kleinen Holzkirche geführt, welche einsam und für wen auch immer in einer Mulde mitten in den Weiden steht. Ein in den Boden gerammtes Eisenkreuz markiert den Ort als heilig, und der Propeller auf dem Gerüst daneben symbolisiert wohl die Offenheit der Religion auf alle Seiten. Zwei Hunde schienen die einzigen hier Sesshaften zu sein.

 
Doch als es dunkel geworden war, klopfte jemand ans Fenster. Drei Männer zwischen 35 und 63 Jahren waren`s, ein Knabe und eine Zweiliter-Petflasche hausgemachten Weins. Keinen überkandidelten, eher säuerlich im Ein- und Abgang. Der Knabe kriegte eine Schoggi, und wir andern diskutierten in angeregtem Rumänisch die Lage der Welt im Grossen und im Kleinen. Zum Abschied gab`s nicht Schulterklopfen, sondern währschafte Bauernküsse und ein „Noapte buna!“.   


13.11.

Karl und Paul sind Freunde

Karl und Paul sind beide im gleichen Dorf im Fricktal aufgewachsen und kennen sich seit Jahren. Sie sind zwar nicht zusammen zur Schule gegangen – Paul ist mehr als 10 Jahre jünger als Karl – aber das Dorf ist klein, und jeder kennt jeden. Was die beiden zueinander geführt hat und verbindet, ist der Umstand, dass beide viel Freizeit haben. Und – vor allem – mit ihrer Freizeit etwas anzufangen wissen. Eines Tages hat nämlich Karl – er ist der Bestimmende – die Idee gehabt, ausserhalb des Dorfes an der Stelle, wo früher das kleine Kloster stand, eine Kirche zu bauen. Ohne fremde Hilfe, eine einfache halt, mit Betonfundament und dem Rest aus Holz, das es ja genug gibt in der Umgebung. Es gelang ihnen, also Karl, den Gemeindepräsidenten zu überzeugen, und sie erhielten nebst der unbürokratischen Baubewilligung auch die Zusicherung, dass die Gemeine die Kosten für den Beton übernehmen würde.
Im Frühling haben sie angefangen, die nötige Infrastruktur an den Bauplatz zu bringen. Karl, der Tüftler, hat weiss nicht woher Solarzellen und einen Stromgenerator organisiert (der ebenfalls aufgestellte Windgenerator funktioniere leider nicht), und man hat eine Baracke zum Unterschlupf und für die Lagerung der Utensilien gebaut. Bald kam dann noch ein alter Wohnwagen dazu, denn nachdem Material verschwunden war – man vermutet eigene Leute aus dem Fricktal – wurde es unumgänglich, dass einer der beiden die Nacht auf dem Bauplatz verbringt. Unter diesen Umständen hat auch die Gemeindebehörde darauf verzichtet, die beiden wegen unerlaubten freien Campierens zu schickanieren.
Oft sind Karl und Paul nicht allein auf der Baustelle, denn da ist noch Xaver, der sie gerne besucht. Da er schon älter ist, arbeitet er nicht mit, und zudem könnten sie sich nicht auf ihn verlassen, da er immer trinken muss. Ab und zu gibt er eine Anweisung, vor allem an den Jüngsten, den Sohn von Karl, der die Zeit lieber als Handlanger seines Vaters als in der Schule verbringt.

Wie überzeugt Karl vom Gelingen seines Projektes ist, zeigt die Tatsache, dass er, kaum hatten sie mit dem Bau begonnen, einen Besucherpavillon erstellte. Die wetterfesten Bilder, die dessen Wände innen und aussen schmücken, wurden von einer im Hauptort des Tales ansässigen Firma gratis hergestellt, was zeigt, wie stark die Kirche und der Glaube überhaupt auch im heutigen Fricktal noch verwurzelt sind.


Nicht ungern und nicht ohne einen gewissen Stolz lässt sich Karl vor oder in seinem Bauwerk fotografieren.

Karl ist aber auch stolz auf ihr Dorf. Wenn es sich ergibt, führt er den Besucher an Orte, wo er als Kind viele Stunden verbracht hat. Er zeigt den Dorfbach und erklärt, dass es nie zur Diskussion stand, diesen zu begradigen oder gar teilweise unter den Boden zu verbannen, so dass eben auch heute noch Gänse den Weg von den benachbarten Häusern hierhin finden. Von der alten Wasserstelle erfolgt genügend Zufuhr an frischem Wasser.

    
 
Freund Paul hat wie die meisten Männer keine Fremde, sondern eine Fricktalerin geheiratet. Die Familie ist bereits auf fünf Köpfe angewachsen, so dass das einfache Haus mit Küche und einem Raum fast zu klein ist für alle. So wird Onkel Xaver auch mal vor die Tür geschickt, um eine Zigarette zu rauchen. Da das Häuschen am Hang gelegen ist, haben Paul und seine Familie zwar eine schöne Aussicht, leiden aber bei Regen am Wasser, das seinen Weg auf natürliche Art durch den Vorplatz hinunter ins Dorf sucht.



Karl wohnt mit seiner Familie unten an der Dorfstrasse. Verkehr hat es nicht viel, und durch die Beschaffenheit der Strassenoberfläche wird erreicht, dass sich dieser gemächlich an den Häusern vorbeibewegt. Moderne Wörter wie „Wohnstrasse“  braucht man nicht, es ist einfach natürlich, dass die Kinder hier spielen oder alte Leute einen Schwatz abhalten. Nur zwei Minuten vom Haus entfernt befindet sich der alte Ziehbrunnen, wo schon die Eltern und Grosseltern von Karl das Wasser geholt haben. Natürlich tut er seinen Dienst noch heute.


 
Karl ist ein Alleskönner. Neben dem Kirchenbau führt er auch zu Hause Holzarbeiten aus, hält den ganzen kleinen Hof in Schwung, weiss immer, in welchem Anbau er was holen muss, betreibt Rebbau, macht selber Wein, den traditionellen, etwas gewöhnungsbedürftigen, eher säuerlichen Landwein, und sogar zur Haltung eines Schweines hat er ein Plätzchen gefunden.
Wenn sie nicht draussen beim Klösterchen sind, sind Karl, Paul und natürlich Xaver auch hier oft zusammen. Dass Paul und Xaver mehr wegen der Gemütlichkeit kommen und so dem Karl keine grosse Hilfe sind, ist kein Problem. Man fühlt sich als Fricktaler wie eine grosse Familie.



Um Karls Vielseitigkeit und Umsichtigkeit Genüge zu tun, gilt es noch, drei weitere Seiten seines Wesens zu erwähnen. Er ist ein fürsorglicher Vater, der sich nicht scheut, dem Kleinsten auch mal das Essen einzugeben. Als gesellschaftlicher Mensch ist er immer überall gerne gesehen, und jeder schätzt es, mit ihm ein Bierchen zu trinken. Als Letztes: Er ist immer zu Spässen aufgelegt!




Ja, die Freunde Karl und Paul leben vor, dass die inneren Werte zählen. Äusserlich kann das Fricktal bleiben wie es immer war: Beschaulich und fast ein bisschen verloren.