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Sonntag, 10. November 2013

Kurzer Besuch bei Venus und Jupiter

Über welche Route ich gekommen bin? Über die direkte natürlich:

Neptun, Jupiter, Venus und Saturn.
Jetzt bin ich hier, in Mangalia, dem südlichsten Ort an der Schwarzmeerküste, wenige Kilometer vor der bulgarischen Grenze.

Der Weg von Constanta hierhin führt an einigen wunderschönhässlichen Ferienorten vorbei. An jedem Ortschild steht noch zusätzlich: „Touristischer Ort von nationalem Interesse“. Und im Führer steht: „In den letzten Jahren kamen auch immer mehr deutsche Urlauber hierher.“ Verständlich: Attraktiefes Preis-Leistungsverhältnis, gutes Bier für wenige Lei. Man gab sich aber Mühe, um die Hotelkästen herum alles ein bisschen nett zu gestalten, und die späte Jahreszeit erlaubte es mir, alles geschlossen vorzufinden, quasi „nature“. Daher und wegen des goldenen Herbstsonnenscheins revoltierte mein Magen nicht, und die Seele hielt sich tapfer.
Diese Orte sind natürlich nicht alt, und man musste Namen finden für sie. Der Ceauceschi himself kam dafür wohl nicht in Frage, mangels Phantasie. Dann schon eher seine Elena. Die hat immerhin einen Doktortitel erschwindelt. Die spätere feile Marktwirtschaft wäre sicher auf andere Namen gekommen, ähnlich wie sie heute Fussballstadien mit diskreten Leuchtlettern Identitäten geben darf. Ich denke, es war ein in einem tristen Planungsbüro gestrandeter Naturwissenschaftler, der diesen Orten auf dem Reissbrett die Arbeitsnamen „Jupiter“, „Saturn“, „Neptun“ und „Venus“ gab. Und wegen eines Versehens oder Missverständnisses hat man tatsächlich die entsprechenden Ortsschilder hingepflockt. Anyway, bei einem Schild habe ich unter den Namen gesprayt: „I was here“.

Mangalia ist anders. Es hat einen blumigen Namen, der erst noch nach Ferne klingt, und es hat Geschichte. Griechen halt und Mittelalter und Türken. Das spürt man. Dicke Türme der einen und ein dünner der andern Religion stehen in gebührendem Abstand voneinander. Eine ältere Frau (wohl etwa zehn Jahre jünger als ich) hat sich auf dem Beifahrersitz x-mal bekreuzigt, bis ihr Mann das Auto starten und abfahren durfte.  Gut, war auch ein sehr alter Renault. Die Moschee steht als Gebetshaus einer Minderheit etwas versteckt und schweigend (!), dafür leicht idyllisch inmitten von Bäumen und Gräbern. Dann gibt es noch, wie in allen Orten Rumäniens sehr zahlreich, eines dieser der Zeit entsprechenden Gebetshäuser, welche das Heil sofort aufs nächste Wochenende versprechen, diese Instant-Bet-Lokale, ständig offen, modern anglisiert im Namen, das Stanley-Bet-Lokal. Wird als neue, aufstrebende Religion sehr gut frequentiert.



Eine andere, auch ganz Rumänien betreffende  Sache, sind die Kleiderläden. In jedem dritten Haus hat es einen, und da dies nicht reicht, stehen überall baracken- und budenartige Kleiderhäuschen herum. Second-hand-Läden, Kinderkleiderläden, Kleiderboutiquen, Modegeschäfte… Daher ein dringender Aufruf an den Rest Europas: Sendet bitte keine Kleider nach Rumänien! Rumänien erstickt in seinen Kleiderbergen! Wer wirklich etwas tun will für dieses Land, buche einen Flug und komme hier shoppen. Mailand, Paris und London sind out. In wird bald sein: Vom Flughafen mit einem gemieteten Dacia in ein rumänisches Präriekaff hottern. „Adventure-clothing“ zum Billigtarif! Im Ernst: Knüpft Flickenteppiche mit euren Klamotten und schenkt diese der Ikea!





Ein Kleiderladen hat gar nicht erst geöffnet, nämlich der mit Berufskleidern im Angebot. Wäre ja auch zynisch, den Arbeitslosen Berufskleider anzudrehen.

Dazu passt die „Tschubuk-Geschichte:
Cristian, der Wächter der Nacht, hat ja keine Arbeit mehr. Aber er bemüht sich darum, und wie! Heute hat er mir am Telefon erzählt, er habe gestern den ganzen Tag in einer Autowäscherei gearbeitet. Eine Aussen- und Innenreinigung koste 30 Lei. „Und weisst du, was ich nach der Arbeit gemacht habe? – Ich habe mir mit den 13 Lei Trinkgeld ein Päckli Zigaretten gekauft.“ „Und den Tageslohn hast du hoffentlich brav deiner Frau abgegeben!“ Nun, da war kein Tageslohn, da waren nur diese 13 Lei „ciubuc“, Trinkgeld. Jetzt hat doch der Liebste einen Kollegen gefragt, ob er ihm beim Auto-Waschen helfen dürfe, in der Hoffnung, ein paar Lei Trinkgeld abzubekommen…  Macht also einen Stundenverdienst von 1 Leu 50. Anders ausgedrückt: 55 Rappen oder 2½  Zigaretten! „Listen to me. I can do any work for anybody for 1 or 2 Lei.” Er sagt es ruhig und im Ernst und ohne Unterton der Verzweiflung. Cristian este barbat foarte bun!